AT THE CROSSROADS

Wir befinden uns in der größten Umbruchsphase seit der neolithischen Revolution. Der Klimawandel, die Pandemien, die Polarisierung zwischen Demokratie und Autokratie, angefeuert durch den brutalen Überfall Russlands auf die Ukraine, Terrorismus und die Gefahr, dass Terroristen an Massenvernichtungswaffen gelangen, die wirtschaftliche Unsicherheit, der Verlust der Kaufkraft, die hohe Inflation auf der einen und  die Negativzinsen auf der anderen Seite, die extrem einseitige Verteilung der Vermögen, die digitale Revolution und damit einhergehend das Ende der Arbeitsgesellschaft, der Vertrauensverlust in die politischen Institutionen, wachsender Irrationalismus und Wissenschaftsfeindlichkeit, von Trollen verbreitete Lügen und Verschwörungstheorien,  sie alle sind Indizien für eine Zeitenwende. Angetrieben von der digitalen Revolution geht die alte Ordnung unter und eine neue ist noch nicht in Sicht. Für die Destabilisierungsphase eines Systems sind Krisen, manchmal sogar Chaos, typisch. Bis sich ein neues Gleichgewicht eingestellt hat, wird Welt nicht zur Ruhe kommen.

Es ist bekannt, dass Menschen in unsicheren Zeiten für rechte Ideologien empfänglich sind. Verheißen diese doch Sicherheit und einfache Lösungen für komplexe Probleme. Der Herde sammelt sich um das Leittier. So geht auch jetzt die größte Gefahr für die freie Welt von autokratischen Staaten wie China oder Russland aus, die auch in Europa und den USA rechtspopulistische Bewegungen tatkräftig unterstützen.  Rechtspopulistischen Autokraten ist unsere freie, offene Gesellschaft - Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit, Gleichstellung der Frau, Diversität, um nur einige zu nennen - genauso ein Dorn im Auge wie dem fundamentalistischen Klerus gleich welcher Religion. Paradoxerweise bekämpfen sie einander, obwohl sie im Grunde dieselben Ziele verfolgen.

So gesehen wird der Ausgang der kommenden Präsidentschaftswahl in den USA von entscheidender Bedeutung sein. Putscht sich Trump tatsächlich an die Macht, wie vom US-Präsidenten abwärts befürchtet wird, wäre das auch das Ende der vermeintlichen „Vorzeigedemokratie“ USA. Für die verbleibenden liberalen Demokratien hätte das fatale Folgen. Tatsächlich ist die Demokratie weltweit zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg in der Defensive. Weil der Mensch, so wie die gemeinen Schimpansen, genetisch patriarchalisch ausgerichtet ist, unterstützt die genetische Programmierung den Trend in Richtung Autokratie und Führerherrschaft.

Die Polarisierung der Gesellschaft in einen rechtspopulistischen, irrationalen, wissenschaftsfeindlichen Teil und einen, der sich nach wie vor vom rationalen, evidenzbasierten Denken leiten lässt, trat in der Corona-Pandemie voll zutage.  Diese Polarisierung wird sich angesichts der Klimakrise und der zunehmenden wirtschaftlichen Unsicherheit als Folge der Krisenherde, in den nächsten Jahren noch verstärken. Für kommende politische Bewegungen eine große Chance, sich jenseits der Ideologie als evidenz- und wissenschaftsbasierte Gegenbewegung zu Realitätsverweigerern, Verschwörungstheoretikern, Esoterikern und demokratiefeindlichen Rechtspopulisten zu positionieren. 

Die digitale Revolution hat Fahrt aufgenommen. Zum ersten Mal wird eine technische Revolution mehr Arbeitsplätze kosten als bringen. Der Einsatz der künstlichen Intelligenz wird in den kommenden Jahren nicht nur den wissenschaftlichen Fortschritt rasant vorantreiben, sondern auch die Wirtschaft, Gesellschaft und Politik grundlegend verändern. Wir werden uns von einer Arbeitsgesellschaft in Richtung Freizeitgesellschaft entwickeln, mit allen Konsequenzen, die damit einhergehen und Antworten auf die vielen Fragen finden müssen, die sich in diesem Zusammenhang stellen. Wie werden wir zukünftig den Wohlfahrtsstaat finanzieren? Wenn nicht mehr die Arbeit im Mittelpunkt steht, was dann? Was fangen wir mit der freien Zeit an, welche Ausbildung brauchen wir noch, wie halten wir die künstliche Intelligenz unter Kontrolle, wie bewältigen wir die Folgen der drastisch steigenden Lebenserwartung?

Mit der digitalen Revolution steht auch eine Reform des Bildungssystems an. Was müssen Kinder zukünftig lernen, um in der Welt bestehen zu können? Wie schützen wir sie vor dem Verdummen, wie vor Fakewissen? Wie forcieren wir bei Erwachsenen lebenslanges Lernen? Die reine Wissensvermittlung wird zunehmend in den Hintergrund treten. „Denken“ lernen wird an Bedeutung gewinnen, sowie der Erwerb von (Selbst)Reflexionsfähigkeit und der Fähigkeit, Kausalitäten und komplexe Zusammenhänge zu verstehen.

Was ist das Schicksal der repräsentativen Demokratie? Wo wird gewählt werden, an der Wahlurne oder am Handy? Wie sehr wird die technische Entwicklung die individuellen Mitbestimmungsmöglichkeiten erhöhen. Wie und wo findet der politische Entscheidungsprozess statt? Der Weg in die direkte Demokratie scheint vorgezeichnet. Doch die direkte Demokratie birgt große Gefahren. Um diesen zu begegnen, bietet sich die deliberative Demokratie an – ein Modell, das Elemente der direkten mit der repräsentativen Demokratie verbindet.

 

Ein Sandkorn, dass die Erde zum Beben bringt

Im „Das Sandkorn, das die Erde zum Beben bringt, ist der amerikanische Physiker Mark Buchanan dem Gesetz der Krisen und Katastrophen auf der Spur. Dazu denkt er sich ein Sanduhr-Experiment aus. Hintereinander fallen Sandkörner auf dieselbe Stelle am Boden und bilden eine Sandpyramide. Von Zeit zu Zeit löst ein Sandkorn Lawinen aus, die einmal kleiner, einmal größer sind. In unregelmäßigen Abständen nehmen die Lawinen ein gewaltiges Ausmaß an und bringen die Sandpyramide zum Einsturz. Gewaltige Lawinen sind die Folge einer „globalen“ Instabilität des Systems „Sandpyramide“. Lokale Instabilität erzeugt nur kleine Lawinen.

Anhand dieses Zeituhr-Experiments demonstriert er, dass, wenn die Ordnung in einem System instabil genug ist, schon eine kleine Erschütterung (z. B. das Attentat in Sarajevo) gewaltige Konsequenzen nach sich zieht (die beiden Weltkriege). Während bei lokaler Instabilität die Folgen überschaubar bleiben. Die Verteilung der Folgeereignisse entspricht dem Potenzgesetz. Dabei handelt es sich um ein universelles Gesetz. Die Verteilung von Börsencrashs, Naturkatastrophen, Kriegen, aber auch die Verteilung der Gemeinden nach ihrer Einwohnerzahl unterliegen ihm. Selbst wenn eine Scheibe zu Bruch geht, entspricht die Verteilung der Bruchstücke dem Potenzgesetz. Es gibt sehr viele kleine Bruchstücke, mehrere größere und sehr wenige ganz große. Zurzeit gibt es nahezu in allen relevanten Bereichen Spannungen, die zu einer globalen Instabilität führen. Viele Indizien deuten darauf hin, dass wir uns tatsächlich mitten in einer Zeitenwende befinden.

 

Rechtspopulismus

Nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus keimte die Hoffnung auf, dass mit dem Untergang der totalitären Verbrecherregime in Osteuropa einer besseren Zukunft in einer freieren Welt nichts mehr im Wege stünde. Doch statt des Siegeszugs der Demokratie begann der Aufstieg des Rechtspopulismus. Erfunden wurde der moderne Rechtspopulismus von Jörg Haider. Überall in Europa, später auch in Übersee, wurde sein Erfolgsrezept kopiert: konsequente Tabubrüche, niedrigste Instinkte für gutheißen, Hass und Missgunst legitimieren, Vorurteile salonfähig machen, Lügen als Wahrheit ausgeben, das Gute lächerlich machen und selbst Menschen, die nicht gerade zu den besten ihrer Gesellschaft zählen, das Gefühl geben, sie seien wertvoller, würdiger, mit größeren Rechten geboren als andere. Darüber hinaus noch ein wenig Neid und Zwietracht säen und schon fressen die Verführten ihren Verführern aus der Hand, laufen ihnen nach wie Lemminge – und, wie die Geschichte zeigt, sogar bis in den eigenen Untergang.

Umfragen belegen, dass gut ein Drittel der Bevölkerung für rechtspopulistisches Gedankengut ansprechbar ist. Das entspricht in etwa dem Prozentsatz der Stimmen, die die NSDAP bei der Reichstagswahl am 6. November 1932 erhielt und zeigt, dass das Reservoir der „Wutbürger“ über die Jahrzehnte hinweg konstant bleibt. Hitlers Aufstieg wird bis heute mit der damaligen Wirtschaftskrise erklärt. Heute geht es den Menschen jedoch wirtschaftlich so gut wie nie zuvor, trotzdem ist der Rechtspopulismus im Vormarsch.

Aus psychoanalytischer Sicht zeichnen sich „Wutbürger“ durch erhöhte Aggressivität, Halbwissen, Irrationalität, Erregbarkeit und mangelnde Reflexionsfähigkeit aus. Ihr Weltbild ist ein weitgehend paranoides, ihre Argumentation erfüllt die drei bekannten Wahnkriterien: „Unplausibilität der Inhalte“, „Subjektive Gewissheit“ und „Unkorrigierbarkeit“.

Indem Rechtspopulisten den Hass „gegen die da oben“ schüren, wie Goebbels gegen die Lügenpresse eifern, und die „Wutbürger“ in ihrer paranoiden Weltsicht bestärken, setzen sie eine Dynamik in Gang, die auch in der westlichen Welt den demokratischen Grundkonsens zunehmend in Frage stellt. Zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg befinden dich die Demokratien in der Defensive. Selbst in der EU konnten sich rechtspopulistische, autokratische Regime etablieren. Gestützt auf parlamentarische Mehrheiten höhlen sie den Rechtsstaat aus, bringen die Medien auf Kurs und ignorieren zunehmend die Verfassung der EU.

Ein Psychogramm der bekanntesten Protagonisten des Rechtspopulismus zeigt, dass es sich bei diesen durchwegs um narzisstisch gestörte, zum Paranoiden neigende Persönlichkeiten handelt, die ihre Pathologie allerdings nur dort in Szene setzen können, wo sie gleichgestimmte Saiten zum Schwingen bringen.

 

Der Geist ist aus der Flasche

Selbst in aufgeklärten Demokratien gelingt es pathologischen Persönlichkeiten immer wieder, Menschen mühelos aufzuhetzen, zu instrumentalisieren und ihre Psychopathologie ungehemmt in Szene zu setzen. Schon 1961 wies der Gruppenpsychoanalytiker W. R. Bion, auf die Tendenz unreflektierter Menschen hin, immer das gestörteste Individuum in der Gruppe zum Führer zu machen. Von Hitler, Stalin bis Trump, Putin, Johnson, Bolsonaro, Erdogan und Co scheint ihm die Geschichte recht zu geben. Wie erklärt sich aber deren Erfolg?

Gerade narzisstisch gestörte Persönlichkeiten haben ein gutes Gespür für die Regungen, die Menschen im Laufe ihrer Sozialisationsprozesses ins Off drängen mussten. Ohne die Verdrängung egoistischer, feindseliger, asozialer Begierden, wäre ein zivilisiertes Zusammenleben nicht möglich. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Im Unbewussten bestehen diese Wünsche fort. Indem der Rechtspopulismus die Erlaubnis zum Hassen erteilt, Liebe als Schwäche verhöhnt, Egoismus und Gewissenlosigkeit als etwas Gutes darstellt, hebt er die Verdrängungsschranke auf und setzt damit einen Entsublimierungsprozess in Gang. Frei nach dem Motto „Haltet den Dieb“ werden die Lügen und Niedertracht, die sie selbst verbreiten, den anderen unterstellt, was oder wer auch immer die anderen sein mögen. Die Destabilisierung und Spaltung der Gesellschaft wird dabei nicht nur in Kauf genommen, sondern gezielt herbeigeführt.  Sobald der Geist einmal aus der Flasche ist, kann dieser Vorgang nur mehr schwer rückgängig gemacht werden und das Unheil nimmt dann oft genug seinen Lauf.

Der Rechtspopulismus ist dort erfolgreich, wo es ihm bei Menschen gelingt, Realität durch Wunschdenken zu ersetzen. Eine Eigenschaft, die bei bildungsferneren Schichten signifikant häufiger auftritt. Diese Realitätsverleugnung ist auch die Schnittmenge zwischen Rechtspopulismus und Esoterik. Auffallend ist, dass Rechtspopulismus, Esoterik, Irrationalismus gerade in gesellschaftliche Umbruchsphasen Hochblüten treiben. Beginnend mit dem Untergang der Monarchien, der alten Welt, vor etwas mehr als 100 Jahren im Fin de Siècle, bis zum Ende des Dritten Reiches. Der Aufstieg des Rechtspopulismus im neuen Kleid, sowie gegenwärtige Esoterik-Boom begannen knapp vor der Jahrtausendwende, parallel zur digitalen Revolution und wie als Gegenreaktion auf die Wissensexplosion, vor allem im Bereich der Naturwissenschaften.

 

Von der Politik- zur Demokratieverdrossenheit

Das 20. Jahrhundert war das Zeitalter der Massenideologien. Auch in Österreich formten sich vier Lager: das liberale, christlich soziale, sozialdemokratische und nationale. Die große Idee stand über allem: der Glaube an das Reich Gottes, an das Arbeiterparadies auf Erden, an den sich selbst regulierenden Markt, an den Mann der Tat, den großen Führer.
Nach zwei verheerenden Weltkriegen, der Herrschaft rechts- und linksgerichteter Tyranneien, dem Ende des kalten Krieges und wachsendem Wohlstand, begannen die ideologischen Monolithe zu bröckeln.

Wir leben in einer politischen Übergangsphase. Die Erosion der traditionellen politischen Lager ist voll im Gange. Neue politische Gruppierungen kommen und gehen. Nur wenige können sich etablieren. Generell hat das Vertrauen in die Politik einen Tiefpunkt erreicht. Ähnlich wie in der Zwischenkriegszeit nimmt die Politikverdrossenheit rasant zu. Von rechten Hetzern geschürte Emotionen und Irrationalität erschweren seriöse Politik. Gegenwärtig zeichnet sich eine Polarisierung der Gesellschaft ab. An der Ratio scheiden sich die Geister. Es hat den Anschein, als würden mehr als ein Drittel der Menschen zunehmend ihren Verstand außer Kraft setzen und sich vom gesellschaftlichen und politischen Grundkonsens verabschieden.

Die Politverdrossenheit droht in Demokratieverdrossenheit umzuschlagen. Gefahr der Schwächung oder gänzlichen Beseitigung der Demokratie durch ochlokratische Verwilderung. „The Third Wave“ und das „Milgram-Experiment“ liefern den Beweis, wie leicht rechte Demagogen die Schwächen des demokratischen Systems für sich zu nutzen wissen. Die Hilflosigkeit der seriösen Politik gegenüber rechtspopulistischen Hetzern erhöht die Gefahr autokratischer Demokratien. Mehr denn je braucht die Demokratie starke couragierte Persönlichkeiten, die bereit sind, der wachsenden Destruktivität positive Visionen entgegenzusetzen und für diese auch einzustehen.

 

Die Krise der liberalen Demokratie

Das Ergebnis „des Global State of Democracy Report 2021“ den das International Institute for Democracy and Electoral Assistance mit Sitz in Stockholm herausgegeben hat, ist ernüchternd. Weltweit entfernen sich mehr Staaten von der Demokratie als umgekehrt. Besonders Besorgnis erregend sind die Entwicklungen in großen Staaten, wie den USA, Brasilien, Indien, die bisher als gefestigte Demokratien galten.

In den Vereinigten Staaten, ist die Gefahr eines rechten Putsches durch Donald Trump im Zuge der Präsidentschaftswahlen 2024 mittlerweile so groß, dass auch der amtierende Präsident in einer Rede vom Juli 2021 vor ihr warnt: "Wir stehen vor der größten Prüfung unserer Demokratie seit dem Bürgerkrieg, und das ist keine Übertreibung".
Doch auch in Europa zeichnet sich ein ähnlicher Trend ab. Polen, Ungarn, Slowenien, triften immer weiter von der Demokratie ab.

Als Folge der Klimakrise und der Pandemie radikalisieren sich rechtspopulistische Gruppierungen, Verschwörungstheoretiker und Esoteriker zunehmend. Was sie eint ist ihre Frustration, allerdings nicht nur mit der Klima- Corona-Politik, sondern auch mit der liberalen Demokratie und ihren politischen Institutionen. Sie werden immer mehr zu Staatsverweigerern, ihr Freiheitsbegriff ist ein zutiefst egoistischer, asozialer. Ihre Freiheit soll durch nichts und niemanden eingeschränkt werden. Ihr Wille sei Gesetz.

Alarmierend ist das Ergebnis des "Demokratie-Monitor" der jährlich vom SORA Institutes erstellt wird. Demnach ist das "Systemvertrauen" auf dem tiefsten Punkt seit Erhebungsbeginn gesunken. Derzeit sind nahezu sechs von zehn Menschen (58 Prozent) davon überzeugt, dass das politische System in Österreich weniger oder gar nicht gut funktioniert.

Es kommt nicht von ungefähr, dass Verschwörungstheoretiker, die hinter allem und jedem finstere Kräfte, "das System" erkennen, selbst am stärksten zu solchen Komplotten neigen. Es deutet einmal mehr auf den engen Zusammenhang zwischen Rechtspopulismus, Esoterik, Verschwörungstheorien, Fanatismus und Paranoia hin. Für die Paranoia ist kennzeichnend, dass innerpsychische Vorgänge nach außen projiziert, eigene Absichten anderen unterstellt werden und die sich verfolgt Fühlenden, daher stets die Verfolger sind. 
Der paranoide Charakter dieser Gemengelage lässt sich allein schon daran erkennen, dass sie den drei Wahnkriterien - subjektive Gewissheit, Nichtableitbarkeit (Unplausibilität) und Unkorrigierbarkeit - genügt.

Vorherrschende Gefühle im narzisstisch-paranoiden Kontext sind Selbstüberschätzung, Argwohn, Misstrauen, gnadenlose Entwertung anderer und Feindseligkeit bis hin zum Hass, gepaart mit dem Anspruch, dass sich die Welt der eigenen Sichtweise unterwerfen muss. Das Menschenbild ist ausgesprochen negativ, die Umwelt wird als feindselig wahrgenommen.

Die narzisstisch-paranoide Ausrichtung lässt sich bei allen Führern dieser Szene erkennen. Nur wer über diese Saiten bei sich verfügt, kann sie auch bei Gleichgestimmten zum Schwingen bringen. Persönlichkeiten, bei denen die Integration der positiven und negativen Selbst- und Objektanteile unterblieben ist, gelingt es mühelos, in der Masse ihre Störung in Szene zu setzen, die Gesellschaft zu spalten und ihre Anhängerschaft aufzuhetzen.

Schon Jörg Haider hat von einer „Dritten Republik“ mit stark autokratischen Zügen geträumt, wo das Amt des Bundeskanzlers und des Bundespräsidenten zusammengelegt und politische Entscheidungen mit Volksabstimmungen (der verhetzten Bevölkerung) herbeigeführt werden. Haiders Traum ist noch nicht ausgeträumt. Pseudodemokratische Autokratien haben sich mittlerweile überall in der Welt, auch in der EU, etabliert. In Österreich ist ein gutes Drittel der Bevölkerung für rechtspopulistisches Gedankengut empfänglich. Wenn in Krisenzeiten das Vertrauen in das politische System sinkt, wittern Rechtspopulisten ihre Chance. Damit steigt die Gefahr, dass, als Folge der Hetze, die Stimmung kippt und die Politverdrossenheit zur Demokratieverdrossenheit mutiert.

Rechtspopulistische Gruppierungen nutzen die Pandemie und die Klimakrise ungeniert, um Hass zu schüren und den Spaltungsprozess voranzutreiben. Umso wichtiger ist es, ihnen nicht tatenlos das Feld zu überlassen.  Dazu braucht es eine Alternative zur Hassideologie, in Form einer attraktiven, weltoffenen, evidenzbasierten, optimistischen, lösungs- und zukunftsorientierten, Bewegung. Die ist zurzeit aber nicht zu erkennen. Deswegen haben die Rechtspopulisten leichtes Spiel.

 

Wunschdenken und Wirklichkeit

Warum wirken gerade die Klimakrise oder die Covid-19 Pandemie, wie ein Katalysator für paranoides Gedankengut, Rechtspopulismus, Irrationalismus, Verschwörungstheorien und Wissenschaftsfeindlichkeit? Immerhin glauben laut einer Umfrage von Statista (2019) 51% der Deutschen nicht, „dass der Klimawandel real und vom Menschen gemacht ist“ hingegen (2021) 30,4% der Befragten, dass an „Verschwörungstheorien meistens auch ein Funken Wahres dran ist“ und 28,4%, dass an „vielen Theorien, die als Verschwörungstheorien abgetan werden, oft mehr dran ist, als die offiziellen Stellen zugeben“.

Die FP in Österreich gegenwärtig noch radikaler, irrationaler, wissenschaftsfeindlicher und unberechenbarer denn je, ist nicht mehr nur Sammelbecken für Ewiggestrige, Rechtsradikale neueren Zuschnitts und Wutbürger, sondern neuerdings auch für Aluhüte aus dem grünen Lager. Ihr gemeinsames Feindbild, gegen das sich ihre Wissenschaftsfeindlichkeit richtet: die Realität. Was aber macht die Realität so unerträglich und wissenschaftliche Erkenntnisse so bedrohlich, dass diese verleugnet werden müssen?

Die menschliche Fähigkeit, Realität durch Illusion zu ersetzen, zeigt sich in der einen oder anderen Form überall im Alltag. Sie ist die Voraussetzung für den Mythos von der Willensfreiheit des Menschen, seiner Überzeugung, die Krönung der Schöpfung, Ebenbild Gottes zu sein. »Rien ne vas plus« – immer dann, wenn im Leben nichts mehr geht, kommt die Hoffnung ins Spiel. Es kommt nicht von ungefähr, dass Glaube und Illusion in so enger Verbindung zur Hoffnung stehen und überall dort zur Entfaltung gelangen, wo die Realität unseren Wünschen und Sehnsüchten eine unerbittliche Grenze setzt.

Letztlich ist unser Bild von der Realität immer eine Konstruktion unseres Gehirns. Ein Puzzle, bei dem die Steine der innerpsychischen Realität, unserer Wunschwelt, mit denen aus der beobachteten Außenwelt so optimal aufeinander abgestimmt sind, dass die Grenzen zwischen Wunschdenken und Wirklichkeit im Erleben weitgehend verschwimmen und so etwas wie subjektive Gewissheit entsteht. In Wechselwirkung mit der Außenwelt schaffen wir die Welt unter dem Einfluss unserer unbewussten Illusionen daher nicht so, wie sie tatsächlich ist, sondern immer auch so, wie wir sie haben wollen.

Gott, der Jenseitsglaube, der Glaube an Heilslehren, Verschwörungstheorien, UFO-Sichtungen, die vermeintliche Erinnerung an frühere Leben, magische Kräfte existieren – aber sie existieren nur in unserer nach außen projizierten Vorstellungswelt. Und sie existieren nur, weil wir es dringend so brauchen, um die unlustvollen Anteile der Realität in unserem Bewusstsein durch lustvollere zu ersetzen. Unsere Beziehung zur Realität ist daher weitgehend eine Legierung von Tatsachen und Illusionen.

So kommt es nicht von ungefähr, dass religiöse, esoterische, aber auch weltliche Heilslehren überall dort ansetzen, wo dem Menschen schmerzhaft die Grenzen seiner Wünsche vor Augen geführt werden. Sie verkünden buchstäblich immer das, wonach Menschen sich am stärksten sehnen. So schützen Irrationalität und Wunschdenken vor dem Schrecken der Realität, der Endgültigkeit des Todes.

 Die Wissenschaft dagegen beraubt den Menschen seines Schutzschildes und konfrontiert ihn schonungslos auch mit der unlustvollen Seite der Realität. Kein Wunder also, dass all jene, die das nicht verkraften können, wissenschaftliche Erkenntnisse aggressiv verleugnen und die Realität, dort wo sie am meisten schmerzt, durch Illusion ersetzen.  So ist das auf Rationalität beruhende wissenschaftliche Weltbild in den Köpfen vieler Menschen noch nicht angekommen. Das Vakuum als Folge des Niederganges der traditionellen Religionen, die, solange sie geglaubt wurden, dem Menschen auch Trost spenden konnten, führte bei einer nicht unerheblichen Anzahl zu einer Regression ins magische Denken - daraus abgeleitet eine Vielzahl esoterischer Derivate. Soll die Demokratie nicht ernsthaft in Gefahr gebracht werden, braucht eine neue Aufklärungsbewegung und die Rückkehr zur Rationalität. Letztlich kann das nur eine unaufgeregte, sachorientierte, evidenzbasierte Politik leisten.

 

Monopoly

Unbestritten gibt es zur freien Marktwirtschaft bislang keine Alternative. Aber reguliert sich der Markt wirklich selbst, wie Neoliberale behaupten? Wer schon einmal Monopoly (nomen est omen) gespielt hat, weiß, dass das Spiel zu Ende ist, sobald einer alles besitzt. Dem Mythos von der sich selbst regulierenden Marktwirtschaft widerspricht auch das „preferential attachment“ genannte Prinzip von Barabási. Es belegt, dass - wie beim Monopoly – der Marktvorteil, den ein Unternehmen durch Zufallsfluktuation oder durch gezielte Maßnahmen gewonnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit sein weiteres Wachstum exponentiell beeinflussen wird.  So wie es das „preferential attachment“ vorhersagt: In einem skaleninvarianten Netzwerk werden sich neue Knoten leichter mit Knoten verlinken, die schon stark vernetzt sind. Ein Kunde wird umso leichter auf ein Unternehmen stoßen, je mehr Kunden dieses bereits hat, wobei der Prozess nur in eine Richtung läuft und ein eindeutiges Ergebnis hat: „rich gets richer“ - poor gets poorer“.

Eine freie Marktwirtschaft ohne Obergrenzen führt zum selben Ergebnis. Der Gini-Index (ein Maß für die Ungleichverteilung: 0 = Vermögen sind gleichverteilt, 1 = einer besitzt alles) ist seit 2000 von 89,2% um weitere 3,5% gestiegen. Netto weist die Vermögensverteilung in Österreich 2019 einen Gini-Koeffizient von 0,74 auf. Die Österreichische Nationalbank stellte für 2010 eine ausgeprägte Ungleichheit der Verteilung der Nettovermögen in Österreich fest. Die reichsten 5 Prozent besaßen etwa 45 % des Vermögens, die ärmeren 50 % etwa 4 Prozent. Weltweit ist die Vermögenskonzentration sogar noch deutlich stärker. Nach Berechnungen von Oxfam aus dem Jahr 2014 verfügen die reichsten 85 Menschen über denselben Reichtum wie die ärmere Hälfte der Erdbevölkerung zusammen (Im Vergleich dazu der Gini-Koeffizient von 0,892).
Die Evolution kennt keine freiwillige Selbstbeschränkung. Die menschliche Gier macht da keine Ausnahme. Übertragen auf das Monopoly-Spiel bedeutet ein Gini-Koeffizient in dieser Höhe, dass wir knapp vor dem „Game over“ stehen. Dass es sich in der Realität genauso verhält, zeigt ein Blick auf die Statistik.  Zehn Prozent der Bevölkerung besitzen im deutschsprachigen Raum die Hälfte des Privatvermögens. Mehr als jeder Zehnte lebt in Armut. Während die Hälfte der Beschäftigten weltweit unter der Armutsgrenze von zwei Dollar pro Tag leben, ist die Zahl der Dollarmilliardäre im Zeitraum von 1996 bis 2006 von 423 auf 946 Personen gestiegen.

Obwohl die Profite der Unternehmen immer höher werden, liegt die Kaufkraft noch immer auf dem Niveau der 90er Jahre. Die Schere zwischen Arm und Reich, Klein-, Mittelbetrieben und Großunternehmen wird laufend größer. Wird dieser Entwicklung nicht Einhalt geboten, ist es nur mehr eine Frage der Zeit, bis sich der Mittelstand bei diesem Polarisierungsprozess auflöst und es bald nur mehr ganz wenige Reiche und viele ganz Arme gibt. Wenn aber niemand mehr da ist, der mitspielen kann, ist das Spiel auch für die Superreichen zu Ende. Das Sinken der Realzinsen bis ins Minus (Negativzinsen), gepaart mit steigender Inflation ist ein weiteres gewichtiges Indiz, dass der Kapitalismus in einer Krise ist. Die Hegemonie des Dollars ist in Frage gestellt, neue Währungssysteme stehen zur Diskussion, gleichzeitig entstehen alternative Währungsnetzwerke (Bitcoins).

Notwendige Maßnahmen zur Schadstoff- und Abfallreduktion sowie die digitale Revolution beschleunigen den Wirtschaftswandel. Noch ist nicht klar, wie die Welt am Ende dieses Jahrzehnts aussehen wird. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die digitale Revolution aber weniger neue Arbeitsplätze schaffen, als durch sie verloren gehen. Es ist davon auszugehen, dass mindestens jeder 5. Arbeitsplatz davon betroffen sein wird. Doch schwanken die diesbezüglichen Schätzungen der Experten erheblich.

 

Informations- oder Wissensexplosion

Von der Erfindung des Faustkeils bis zur Erfindung des Rades (3000 vor Christus) dauerte es rund 2 Millionen Jahre. Von der Erfindung des Rades bis zur Erfindung des Buchdrucks weitere 4500 Jahre. Von der Erfindung des Buchdrucks bis zur Erfindung der Dampfmaschine etwa 300 Jahre. Danach steigt der Anteil der eingetragenen Erfindungen (Patente) exponentiell.

Hat sich das Wissen zwischen 1970 und 1980 alle 10 Jahre, zwischen 1981 und 2000 alle 8 Jahre und im Jahr 2017 alle 13 Monate verdoppelt, verdoppelt es sich nach einer Schätzung der IBM als Folge der AI (Artifizielle Intelligenz) und des IOT (Internet of Things) heute bereits in 11 bis 12 Stunden. Allerdings bezieht sich diese Schätzung lediglich auf die Quantität und nicht die Qualität der Information. Immer mehr Menschen können mit der Geschwindigkeit, mit der sich das Wissen ändert oder erweitert, nicht mehr mithalten. Sie bleiben auf der Strecke.

Aber selbst jene, die noch mithalten können, sehen sich angesichts der Informationsflut mit dem Problem der Wissensselektion konfrontiert. Wie gelangen wir an das für uns relevante Material und wie können wir seine Qualität beurteilen? Wie sollen wir entscheiden, ob die gefundene Information wissenschaftlich fundiert oder ein Fake ist? Gerade die Covid-19 Pandemie führt uns vor Augen, wie gravierend das Problem des Wissensmanagement ist und wie krause Verschwörungstheorien sich im Netz schneller verbreiten als wissenschaftliche Informationen.

Die exponentielle Wissensexplosion hat für den Menschen, allen voran für das Bildungssystem, gravierende Folgen. Welches Wissen soll in den Lehrplan? Wieviel Wissen kann sich ein durchschnittlicher Mensch überhaupt aneignen und in welcher Geschwindigkeit? Über welche Kenntnisse müssen wir verfügen, um in Zukunft mithalten zu können? Wann werden uns die Maschinen wissensmäßig überlegen sein, wie lange können wir sie kontrollieren und wie schützen wir uns davor, dass sie die Macht übernehmen? Hat der Mensch mit Erfindung der künstlichen Intelligenz (KI), dem Maschinenlernen, dem Internet of Things, die Büchse der Pandora geöffnet und die Weichen in Richtung Untergang gestellt? Oder bricht jetzt das goldene Zeitalter an, in dem Menschen nicht mehr arbeiten müssen, Krankheiten geheilt, der Alterungsprozess gestoppt und „ewige“ Jugend möglich werden?

Ungeachtet der vielen ungelösten Fragen im Zusammenhang mit der digitalen Revolution ist die aktuelle wohl die nach den Auswirkungen auf unser Bildungssystem. Welche Inhalte sollen in Zukunft unterrichtet werden? Über welche Fähigkeiten müssen Menschen in der Zukunft verfügen, um den alltäglichen Herausforderungen gerecht werden zu können? Der menschlichen Intelligenz sind biologische Grenzen gesetzt. Was geschieht mit den Menschen, die aufgrund ihrer biologischen Voraussetzungen nicht mehr in der Lage sind, mit der ständig wachsenden Informationsflut und Veränderungsgeschwindigkeit mitzuhalten? Es ist zu erwarten, dass es dem Potenzgesetz entsprechend, bald nur mehr wenige geben wird, die wissensmäßig noch Schritt halten können, während die überwiegende Mehrzahl die Technik der digitalen Welt wohl für sich nutzen wird, allerdings ohne sie noch zu verstehen.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage politische Entscheidungen getroffen werden können, wenn täglich neue Informationen dazukommen, die oft genug völlig neue Perspektiven eröffnen? Wie sollen die neuen Erkenntnisse in Echtzeit miteinander verknüpft werden und wie soll die Politik darüber entscheiden, welche relevant sind? Es besteht kein Zweifel, dass wir uns in einer Zeitenwende befinden. Keiner kann wissen, wie sich die Welt entwickeln wird, aber einiges zeichnet sich heute bereits ab.

 

Bildung im digitalen Zeitalter

Die digitale Revolution führt nicht nur zu einer Informations- und Wissensexplosion, sondern erschwert auch die Qualitätskontrolle. Auf den Plattformen der Internetriesen werden Informationen weitgehend unkontrolliert verbreitet. Für User wird es immer schwieriges, evidenzbasiertes Wissen vom Informationsschrott zu unterscheiden. Darüber hinaus werden den Kindergärten und Schulen als Folge des gesellschaftlichen Wandels Aufgaben übertragen, für die sie bislang nur unzureichend gerüstet sind. Die neue Situation erfordert eine umfassende Reform des Bildungssystems bei der Ausbildung der Lehrkräfte, der Wissensvermittlung, der Persönlichkeitsbildung bei den Heranwachsenden, sowie im Bereich der Integration.

Das Bildungsmonopol des Staates bröckelt. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass in Zukunft ein immer kleiner werdender Teil der Bildung in traditionellen Einrichtungen stattfinden wird. Die informelle Wissensvermittlung erfolgt schon jetzt (jenseits der Lehrpläne) zunehmend im Internet. Der dadurch entstehende Wildwuchs an Informationsschrott nimmt beständig zu. Wie sollen künftige Generationen entscheiden, welche Informationen evidenzbasiert, welche relevant und welche ein Fake sind? Mindestens ebenso wichtig wie das Erlernen von Fertigkeiten und Fakten, ist die Ausbildung der Fähigkeit, die Qualität von Information entsprechend zu beurteilen.

Grundlegend ist daher die Frage, welche Bildungsinhalte Menschen in einer zunehmend digitaler werdenden Welt vermittelt werden müssen, damit sie in ihr bestehen können. Provokant formuliert, müssen Kinder Kopfrechnen können, wenn es Taschenrechner gibt? Müssen sie sich Fremdsprachen aneignen, wenn Simultanübersetzungsprogramme die Kommunikation in anderen Sprachen ermöglichen? Müssen sie noch Schreiben können, wenn der Austausch mit digitalen Geräten verbal oder über Gedankenübertragung funktioniert?  Welche Fähigkeiten müssen Sie sich noch aneignen, wenn sie nicht verdummen wollen?

Das Bildungssystem muss parallel zur Wissensvermittlung stärker als bisher die demokratischen Grundwerte, die Übernahme von Verantwortung und die Vermittlung gesellschaftlicher Spielregeln fördern. Eine grundlegende Reform des Bildungssystems ist längst überfällig. Diese darf sich jedoch nicht nur auf die Frage der Ganztagsschule oder der gemeinsamen Schule für die sechs bis 14-Jährigen beschränken. Parallel zur Wissensvermittlung muss die Persönlichkeitsbildung als zweite gleichwertigen Säule im Bildungssystem verankert werden. Gerade in einer Zeit, in der immer mehr Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder ausfallen, müssen unsere Bildungseinrichtungen dafür Sorge tragen, dass nach Abschluss der Ausbildung nicht nur gebildete, sondern auch selbstreflektierte, reife, verantwortungsbewusste Menschen das Ruder in die Hand nehmen.

Damit Kindergärten und Schulen die wichtigen Integrationsaufgaben erfüllen können, bedarf es einer Verkleinerung der Gruppen und Klassen auf maximal 12 Kinder (damit einhergehend eine Aufstockung des Personals) und der Einbeziehung anderer Berufsgruppen, wie z.B. Sozialarbeiter. Auch das Anforderungsprofil an Lehrerinnen und Lehrer hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Der Anteil verhaltensauffälliger Kinder im Regelschulbetrieb hat in dieser Zeit kontinuierlich zugenommen. Ursache ist einerseits die Wohlstandsverwahrlosung, andererseits handelt es sich bei den Betroffenen häufig um vernachlässigte Kinder mit Migrationshintergrund, deren Eltern sie alleine schon aufgrund der Sprachbarrieren nicht unterstützen können. Die, wenn sie aus Kriegsgebieten kommen, oft genug auch noch traumatisiert sind. In diesen Fällen können sich Lehrerinnen und Lehrer nicht bloß auf die Wissensvermittlung beschränken. Um mit diesen Problemkindern (oder Problemklassen) adäquat umzugehen brauchen sie tiefenpsychologisches und gruppendynamisches Knowhow, dessen Vermittlung in Zukunft Teil der pädagogischen Ausbildung sein muss. Als Modell könnte hier die Psychotherapeutinnen- und Psychotherapeutenausbildung herangezogen werden (Erhöhung der Fähigkeit zur Selbstreflexion durch Selbsterfahrung).

Die Art und Weise Wissen zu vermitteln und zu lernen, verändert sich im Zuge der digitalen Revolution kontinuierlich. Genauso wie das Wissen exponentiell zunimmt. Allein der Umstand, dass Impfbereitschaft und der Glaube an Verschwörungstheorien stark bildungsabhängig sind, unterstreicht die zentrale Rolle der Bildung für die Zukunft. Das Bildungssystem muss endlich auch die bildungsfernen Schichten erreichen, um den Zusammenhang der Gesellschaft zu gewährleisten. Dazu bedarf es attraktiver Bildungsangebote mit hohem Unterhaltungswert. Denn in einer sich ständig verändernden Welt kann es sich niemand mehr leisten, auf lebenslanges Lernen zu verzichten, ohne sich dabei in eine berufliche und soziale Sackgasse zu begeben. Sinnvoll wären einfach gehaltene, unterhaltsame Aufklärungskampagnen für Erwachsene, um sicherzustellen, dass jeder Fakewissen, Verschwörungstheorien, bewusste Irreführungen, erkennen kann. Ob dann davon Gebrauch gemacht wird, steht allerdings auf einem anderen Blatt.